Bei gesellschaftlichen Diskursen zu den Vor- und Nachteilen und der Akzeptanz von innovativen Technologien kommt immer wieder die Frage nach dem Vertrauen auf: Wem Vertrauen Menschen und warum? Wie kann Vertrauen gestärkt werden? Oder die verzweifelte Variante: Warum vertrauen Leute uns nicht?
Der Begriff Vertrauen ist alltagstauglich, das heisst – jeder Mensch hat ein genau definiertes Gefühl dafür, was Vertrauen ist, wem wir vertrauen und in manchen Fällen auch, warum. Es gibt zahlreiche Sprichworte («Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser») und Alltagsweisheiten zum Vertrauen («leicht verloren, schwer gewonnen»). Unser gesamtes soziales Zusammenleben beruht auf dem Konzept Vertrauen.
Vor kurzem ist in der wissenschaftlichen Zeitschrift Risk Analysis ein Artikel erschienen, in dem ich mich mit den Themen Risikokommunikation und Vertrauen im Hinblick auf Unsicherheiten, Risiken und Technologieakzeptanz beschäftige (Bearth, & Siegrist, 2021). Für besonders Interessierte: Der Artikel kann hier gebührenfrei gelesen werden.
Für alle anderen habe ich hier die wichtigsten Erkenntnisse und Empfehlungen in drei Punkten zusammengefasst:
Eine handliche Definition und Konzeptualisierung von Vertrauen
Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Begriff Vertrauen nicht so leicht zu definieren, da verschiedene wissenschaftliche Richtungen sich dem Konzept des Vertrauens angenommen und es zu ihrem eigenen gemacht haben (unter vielen anderen: Earle, 2010; Evans & Krueger, 2009; Fehr, 2009; Rotter, 1971; Siegrist, 2021). Eine handliche Definition von Vertrauen im Kontext Technologieakzeptanz liefern uns Siegrist, Cvetkovic, & Roth (2000): «Vertrauen ist die Bereitschaft, sich auf diejenigen zu verlassen, die die Verantwortung für Entscheidungen und Massnahmen bzgl. Technologien tragen, …» (übersetzt von Siegrist, Cvetkovich, & Roth, 2000, S. 354). Die Definition umfasst sowohl die Bereitschaft auf Seiten der Öffentlichkeit jemandem zu vertrauen als auch die implizierte Vertrauenswürdigkeit der zuständigen Personen und Institutionen.
Vertrauen ist messbar, aber es gibt Herausforderungen
Wie im Blogtitel angedeutet, verursacht die Alltäglichkeit und Selbstverständlichkeit des Begriffs Vertrauen Probleme. Der Glaube, dass jeder dieselbe Vorstellung davon hat, was Vertrauen ist, führt dazu, dass Vertrauen häufig zu einfach konzeptualisiert und gemessen wird. Das kann zu falschen Schlussfolgerungen über das Vertrauen der Menschen und der Entwicklung von Vertrauen über die Zeit führen. Eine einfache Frage in einer Umfrage nach dem Vertrauen mag gut funktionieren, wenn die Befragten ein klares Beispiel für ein Individuum haben (z.B. Daniel Koch während der SARS-CoV-2-Pandemie). Es funktioniert weniger gut, wenn unklar ist, wer zuständig ist (z.B. Vor- und Nachteile einer neuen Technologie für die Gesellschaft oder bei Risiken, welche die Gesellschaft als Ganzes betreffen). In diesen Fällen denken wir schnell an Stereotypen (z.B. «ein typischer Beamter» oder «die Pharmaindustrie») oder bedienen uns anderen mentalen Hilfestellungen.
Schädliches Misstrauen in das öffentliche Vertrauen: das "Vertrauensdefizit-Modell"
Im Artikel führe ich zudem die Idee eines schädlichen «Vertrauensdefizit-Modell» ein. Es ist «en vogue» geworden, das schwindende Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft, die Regierung oder die Medien zu beklagen, häufig garniert mit anekdotischen Belegen aus Interaktionen mit einzelnen Individuen oder spezifischen Phänomenen (z.B. Impfskepsis). Vertrauen wird als begrenzte Ressource behandelt, die einem normativ definierten «falschen» Empfänger zugewiesen werden kann. Selbst in der wissenschaftlichen Literatur finden sich in verschiedenen Artikeln pessimistische Vorhersagen einer «Post-Trust-Society» (Bouder, 2015; Löfstedt, 2005).
Aber wie steht es denn um das öffentliche Vertrauen?
Darauf gibt es eine klare Antwort: Nicht so schlecht, wie manchmal lamentiert wird. Wenn das öffentliche Vertrauen in Wissenschaft und Technologie in den letzten Jahren generell abgenommen hat, sollten die Menschen dann nicht kritischer gegenüber weithin akzeptierten Innovationen wie Mobiltelefonen, sauberen Energiequellen oder Fleischalternativen sein? Eine positivere Sichtweise, welche sich auf verfügbare Daten zum öffentlichen Vertrauen stützt (Europäische Kommission, 2017; US National Science Board, 2018), wäre zweckmässig. Vertraut man den vorhandenen Daten, lässt sich keine systematische Abnahme im Vertrauen nachweisen.
Dem Vertrauen wieder mehr (zu)trauen
Zwar möchte ich nicht bestreiten, dass sich das Vertrauen in einzelne
Personen und Institutionen dynamisch verändern kann und dass wir
angesichts bestehender und bevorstehender globaler Herausforderungen
(u.a. Klimawandel, Politisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse,
Pandemien, Fake News) besonders genau und kritisch hinschauen müssen. Im Kern würde ich jedoch argumentieren, dass es für Wissenschaftler, Regulierungsbehörden und die Industrie schädlich ist, die Interaktionen mit der Öffentlichkeit mit einem Defizitmodell im Kopf anzugehen. Denn eine Person wird anders handeln und eher zögerlich kommunizieren, wenn sie einen Verlust der Vertrauenswürdigkeit befürchtet. Dem defizitären Bild des öffentlichen Vertrauens folgend, kann diese Zurückhaltung schnell als mangelnde Transparenz oder Inkompetenz fehlinterpretiert werden.
Und wie finden wir aus dieser Negativspirale wieder heraus? Die Antwort ist einfach und liegt auf der Hand: Indem wir dem öffentlichen Vertrauen wieder mehr (zu)trauen.
Literaturreferenzen
- Bearth, A., & Siegrist, M. (2021). The Social Amplification of Risk Framework: A normative perspective on trust? Risk Analysis, 42(7), 1381-1392.
- Bouder, F. (2015). Risk communication of vaccines: Challenges in the post-trust environment. Current Drug Safety, 10(1), 9-15.
- Earle, T. C., & Cvetkovich, G. (1995). Social trust: Toward a cosmopolitan society. Westport, CT: Greenwood Publishing Group.
- Eiser, R.J., Miles, S., & Frewer, L.J. (2006). Trust, perceived risk, and attitudes toward food technologies. Journal of Applied Social Psychology, 32(11), 2423-2433.
- European Commission. (2017).Special Eurobarometer 461 “De-signing Europe’s future”. Luxembourg city, Luxembourg: Euro-barometer.
- Evans, A. M., & Krueger, J. I. (2009). The Psychology (and Economics) of Trust. Social and Personality Psychology Compass, 3(6), 1003-1017.
- Fehr, E. (2009). On the Economics and Biology of Trust. Journal of the European Economic Association, 7(2-3), 235-266. doi:10.1162/jeea.2009.7.2-3.235
- Löfstedt, R.E. (2005). Risk management in post-trust societies. New York, NY: Palgrave Macmillan.
- Mede, N.G., & Schaefer, M. (2021). Science-related populism declining during the COVID-19 pandemic: A panel survey of the Swiss population before and after the Coronavirus outbreak. Public Understanding of Science, 31(2), 211-222
- Poortinga, W., & Pidgeon, N.F. (2003). Expoloring the dimensionality of trust in risk regulation. Risk Analysis, 23(5), 961-972.
- Rotter, J. B. (1971). Generalized expectancies for interpersonal trust. American psychologist, 26(5), 443.
- Siegrist, M. (2021). Trust and Risk Perception: A Critical Review of the Literature. Risk Analysis, 41(3), 480-490. doi:10.1111/risa.13325
- Siegrist, M., Cvetkovich, G., & Roth, C. Salient value similarity, social trust, and risk/benefit perception. Risk Analysis, 20(3), 353-362.
- US National Science Board (2018). Science & engineering indicators. Alexandria, VA: US National Science Board.